Erbgutentschlüsselung

Erbgutentschlüsselung
Erbgut|entschlüsselung,
 
Identifizierung des Erbgutes, im engeren Sinn durch DNA-Analyse; die gesamte Erbinformation des Menschen liegt in jeder Zelle in kettenförmiger Anordnung in 46 Elementen, den so genannten Chromosomen vor.
 
Den beiden Wissenschaftlern und späteren Nobelpreisträgern James Watson und Francis Crick war es 1953 gelungen, die räumliche Struktur des wichtigsten Moleküls des Lebens, der Erbsubstanz, zu entschlüsseln. Aus dieser räumlichen Struktur ließ sich bereits wenige Jahre später der genetische Code, die Sprache des Erbguts, ableiten; die Struktur war die Voraussetzung, um zu erkennen, wie und auf welchem Weg die Information, die in der DNA gespeichert ist, zur Synthese der Grundbausteine aller Zellen, der Proteine, benutzt wird; sie schuf letztendlich die Basis, um Erbinformation von einem Organismus auf den anderen zu übertragen und diese Erbinformation abzuändern. Es ist daher gerechtfertigt, das Watson-Crick-Modell der DNA als eine der bedeutsamsten biologischen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts anzusehen.
 
Sie ist in der DNA der Chromosomen als Folge von etwa 6 Milliarden Bausteinen, den Basen, festgelegt, wobei die eine Hälfte des Erbgutes von der Mutter, die andere vom Vater stammt. Es gibt nur vier Basen - Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin - in deren Abfolge die genetische Information gespeichert ist.
 
In der DNA treten die Basen Adenin und Thymin einerseits sowie die Basen Guanin und Cytosin andererseits immer im gleichen Mengenverhältnis auf. Nur das Mengenverhältnis der beiden Paare Adenin/Thymin zu Guanin/Cytosin variiert.
 
Die DNA besteht aus zwei spiraligen Strängen, wobei die beiden Stränge entgegengesetzt verlaufen.
 
Die beiden durch Wasserstoffbrücken zusammengehaltenen DNA-Stränge trennen sich wie ein Reißverschluss auf. An den beiden Einzelsträngen können sich DNA-Einzelbausteine anlagern, garantiert durch die Basenpaarung entsteht ein komplementärer Strang.
 
Die systematische Entschlüsselung des Erbgutes des Menschen ist das Ziel des Human-Genom-Projektes. Als Endergebnis soll die Sequenz, also die Abfolge der Basen der DNA, vollständig ermittelt sein und damit auch der genetische Code eines jeden Gens zur Verfügung stehen. Das Humangenomprojekt mit seiner Sequenzierung des Erbgutes ist das größte biologisch-medizinische Forschungsvorhaben, das jemals begonnen wurde. Es wurde seit Ende der 80er-Jahre mit öffentlichen Mitteln, anfangs überwiegend in den USA und in Großbritannien, gefördert. Deutschland schloss sich erst 1995 an. Gegenwärtig sind 20 Zentren (3 deutsche mit Sitz in Jena, Berlin und Braunschweig) in sechs Ländern beteiligt. Im Mai 1998 wurde die amerikanische Firma Celera Genomics gegründet, die mit privaten Mitteln und wirtschaftlichem Interesse in die Erbgutentschlüsselung einstieg. Die damit entstandene Konkurrenzsituation zwischen Celera und dem öffentlich geförderten Humangenomprojekt führte zu einer erhöhten Geschwindigkeit der Genomentzifferung. Diese Arbeit endete im Juni 2000 im Weißen Haus in Washington mit der gemeinsamen Ankündigung einer vorläufigen Version der Gensequenz durch die wissenschaftlichen Leiter des Humangenomprojektes (Francis Collins) und der Firma Celera (Craig Venter). Noch vor 20 Jahren erschien das Ziel einer vollständigen Sequenzierung eine Utopie zu sein; inzwischen ist das menschliche Genom fast vollständig sequenziert.
 
Bis Mai 2000 war die DNA des Chromosoms 21 und des Chromosoms 22 (die zwei kleinsten Chromosomen des Menschen) nahezu vollständig entschlüsselt worden. Die Aufklärung der Sequenz des restlichen Erbguts konnte im Oktober 2000 zu mehr als 90 % abgeschlossen werden. Im Februar 2001 wurde die (mit Ausnahme von kleinen Lücken) vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms von den Gruppen um Francis Collins und Craig Venter zeitgleich publiziert. Die Beschreibung der Basenabfolge des gesamten Erbgutes ermöglicht die Erkennung von Veränderungen in den Genen (die so genannten Mutationen). Mit dieser Information ist bei einigen genetisch bedingten Erkrankungen eine annähernd sichere Prognose möglich. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe monogen bedingter Erkrankungen, die dadurch charakterisiert sind, dass das veränderte Gen einen sehr starken Einfluss auf die Krankheitsausprägung nimmt und wenig durch andere Faktoren modifiziert wird. Durch die eher direkte Wirkung des Genproduktes besteht eine enge Korrelation zwischen Genmutation und Erscheinungsbild (insbesondere die Summe aller an einem Einzelwesen vorhandenen Merkmale). Zu diesen Erkrankungen zählen z. B. bestimmte Formen des Albinismus und die Phenylketonurie. Für die überwiegende Mehrzahl von genetischen Merkmalen, Erkrankungen und Anomalien aber gilt, dass ihre Ausprägung durch ein Zusammenspiel von genetischen Faktoren, Umwelt und Zufall bestimmt wird, sie also eine stärkere Variabilität zeigen. Ein Beispiel dafür ist die Spina bifida, eine angeborene Spaltbildung im hinteren oder vorderen Teil der Wirbelsäule. Die Häufigkeit von Spina bifida liegt in Deutschland bei etwa einer Erkrankung je 1 000 Geburten. Der Einfluss genetischer Faktoren hinsichtlich der Manifestation ist relativ gering, da das Wiederholungsrisiko in einer Familie bei etwa 5 % liegt. Umweltfaktoren spielen eine erkennbare Rolle, da beispielsweise durch die Gabe von Folsäure vor der Konzeption und während der Schwangerschaft die Häufigkeit von Spina bifida nachweislich reduziert werden kann.
 
Nach der Entschlüsselung der menschlichen Erbinformation befasst sich das Humangenomprojekt mit den wesentlich komplexeren Vorgängen der Umsetzung dieser Information. Es stehen inzwischen Methoden zur Verfügung, die es erlauben, die Gesamtheit der Proteine eines Gewebes zu analysieren.
 
Deshalb ist nicht die Sequenzanalyse der DNA die eigentliche Herausforderung bei der Bekämpfung von Krankheiten, sondern die funktionelle Genomanalyse, die Untersuchung der Proteinausstattung, des Proteoms eines Individuums. Es wird sicher eine Reihe von Jahren dauern, bis das Zusammenspiel der geschätzten 40 000 Gene des Menschen verstanden ist. Erschwerend kommt hinzu, dass beim Menschen, im Unterschied zu Genomen bisher untersuchter Lebewesen, ein einzelnes Gen nicht selten für mehrere Proteine kodieren kann. Die dadurch erhöhte Komplexität der Genwirkungen untereinander und deren Beeinflussung stellt sich dadurch erkennbar schwieriger als bisher erwartet dar. Die Wissenschaft muss die Wechselwirkungen der Genprodukte, der Proteine, untersuchen und verstehen lernen.
 
Diese so genannte Proteomforschung (Proteomics) wird den Zuwachs an Wissen über die molekularen Vorgänge des Lebens erheblich beschleunigen und auch zu einem tieferen Verständnis der Mechanismen führen, die für Krankheitsbilder verantwortlich sind.
 
Die Bedeutung von genetischen Veränderungen für die Diagnose, Behandlung und Prognose von komplexen Krankheitsentwicklungen, beispielsweise Krebs, Stoffwechselstörungen, Alzheimer-Krankheit oder auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wird in den nächsten Jahren zunehmen, da es möglich sein wird, veränderte Proteine und ihre Fehlsteuerungen zu diagnostizieren. Außerdem zeigen jüngste Entwicklungen in der pharmazeutischen Industrie, wie schnell funktionelle Genanalysen zu neuen Arzneimitteln führen können. So hat die Aufklärung der molekularen Veränderungen in Krebszellen beispielsweise zur Entwicklung des Krebsmedikamentes Herceptin geführt.
 
Dabei steht die Bekämpfung komplexer genetischer Erkrankungen im Vordergrund. Das neue Förderprogramm »Krankheitsbezogene Genomforschung« vom Bundesministerium für Forschung und Bildung trägt dieser Entwicklung Rechnung. Während Deutschland sich erst sehr spät mit größeren Fördermitteln in das internationale Humangenomprojekt eingebracht hat, sollen nun Mittel dafür bereitgestellt werden, bei der funktionellen Genomforschung international maßgeblich bei der Aufklärung noch unbekannter Faktoren mitzuwirken.

Universal-Lexikon. 2012.

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